· 

Seit heute, aber für immer. Gedichte. Christine Lavant

 

Die Gedichte der österreichischen Lyrikerin Christine Lavant (1915-1973) markieren einen von Krankheit, Schlaflosigkeit und Armut vorgegebenen, leidgeprüften Weg, mit dem man Staub und Feuer gleichermaßen assoziiert. Deshalb wohl sind die Verse vielfach melancholisch, aber eben auch ungeheuer kraftvoll dynamisch, gerade wenn sie mit Gott hadern. Dies tun sie in ungewöhnlicher, faszinierender, zuweilen schön verstörender Weise: „Mit der sanften Hostie des Monds / bin ich Sünderin nicht abzuspeisen, / nimmer loszusprechen von der Mittagsglut / dieser Formel zwischen Gott und Tier. //“

Es scheint, als sei gerade dieses Hadern eine entscheidende Lebensader dieser Dichterin, um die harten Verhältnisse auszuhalten, die Leidenschaften, die sich selbst zugeschriebene Maßlosigkeit. Die offenkundig Tiefgläubige stellt sich immer wieder ihrem Gott entgegen und dringt dabei tief ein in die christliche Symbolik. Sie bleicht deren Spiegel. Gott wird enttarnt als Leidbringer, wie eine dunkle Welle, die immer wieder weiße Rosen verschlingt. Die Annahmen seiner Güte scheinen geradezu zu verwesen in diesen Texten. Runen zum Verständnis dessen bietet ein besonderer Diamant unter den Gedichten dieser großen Lyrikerin, die „Ölbergstunde“. Daraus: „dann, als das Blut von deiner Stirne rann, / geschah Verwandlung ihnen, die es tranken. / Da sah Gott her, - erschüttert – sah dein Schwanken / und wie dein Menschentum sich jäh besann: / „Laß diesen Kelch an mir vorübergehen!“ / Er sah die Schmerzen wie Verwaiste stehen / und rief den Engel, seinen Allergrößten! / Er kam, - gefolgt, von allen Unerlösten / und hielt den Kelch vor deinem blassen Munde. /"

Die Sprache ist klar wie ein Gebirgsbach im Rhythmus seiner, von einem Herbstwind provozierten Wellenbewegung. Herbst, alles ist Herbst an der Stimme dieser Dichterin, in dem der Winter bereits leidenschaftlich glüht. Der Winter, das Aushalten und das Ertragen, aber auch die zur Passion werdende Liebe, an deren Ende die Wiedergeburt des Todes steht: „Zurück will alles. Auch der Totenwein / in meiner Kehle würgt sich noch nach oben. / Ich hör mein Herz die Gnade Gottes loben, / das dringt wie Bellen mir durch Mark und Bein.“ Die Gedichte sind Eruptionen einer blutenden Seele, die sich in ihrem Durchhalten immer wieder aufs neue verjüngt. Grandios und meisterhaft ist das in diesen Versen inszeniert, die wohl ihres Gleichen suchen. Vielleicht fände sich ein Ebenbürtiger in Georg Trakl. Anders als bei Trakl aber beispielsweise wird die Schönheit des Vergänglichen indes nicht hervorgehoben, sondern herausgefordert. Christine Lavant fordert sie heraus und läßt sie glatte Wände hoch laufen und abstürzen, an denen das Irdische unerreicht schillert. Und dies mit sicherem Instinkt. Ihre Texte lesen sich wie kosmische Gegenbewegungen. Immer wieder ist man bei der Lektüre überrascht über diese gleichsam profunden, als auch, nicht nur für ihre Zeit, waghalsigen Betrachtungen. Sonnenwinde, die über die christlichen Traditionen hinweggehen, sind diese Gedichte. Deshalb: „Einäugig ist mein abgenutzter Würfel / ich werfe ihn, als ob er zwölfe hätte, / vor aller Augen – Christus schau nicht her ! / (…) / Ich werfe ihn nun doch in deine Hand, / in deine sanfte, die auch Blinde heilt; / ich muss gewinnen! Heil den Würfel aus / denn meine Seele spielt um dein Gewand.“

Die Lyrik der Königin unter den Dichterinnen des 20. Jahrhunderts, Christine Lavant, ist nun im Wallstein Verlag erschienen, in einer wunderbaren Auswahl aus Lebzeiten und Nachlass, die die Schriftstellerin Jenny Erpenbeck zusammengestellt hat. Ihr sehr ansprechendes und erhellendes Nachwort rundet die Hommage, die passend zum 50. Todesjahr der Kärntnerin erschienen ist.

 

 

 

 

 

Seit heute, aber für immer. Gedichte. Christine Lavant, Wallstein Verlag, Göttingen 2023

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0